1. Der Traum von einer stabilen Europäischen Währungsunion und seine Zerstörung
Die Schöpfer der Eurozone wollten mit der Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank (EZB) (1) , ihrer Verpflichtung
zur Vermeidung inflationärer Entwicklungen (2) und Obergrenzen für Neuverschuldung und Gesamtschuldenstand ("Maastricht-Kriterien") (3) die Geldwertstabilität der neuen Währungsunion in den Europäischen Verträgen verankern.
Wie sich bereits in den ersten Jahren nach Gründung der Eurozone zeigte, blieben jedoch die verschiedenen Wirtschaftsphilosophien der Eurozonen-Mitgliedstaaten bestehen, und die Interpretation der vertraglichen Regelungen wurde künftig durch die Mehrheiten in den Institutionen entschieden (EZB-Rat, EuGH etc.).
ad (1) Die EZB ist zwar gemäß Art. 130 AEUV von Weisungen von Seiten der EU-Institutionen und der Eurozonen-Mitgliedstaaten unabhängig, da jedoch von den 25 Mitgliedern des EZB-Rates die 19 nationalen Zentralbank-Präsidenten durch die Regierungen der Mitgliedstaaten ernannt werden, kann man davon ausgehen, daß die jeweiligen nationalen Interessen bei deren Entscheidungen eine wichtige Rolle spielen.
ad (2) Die in Art. 127 Abs.1 S.1 AEUV verankerte Verpflichtung der EZB auf Preisstabilität wurde auf zweierlei Weise umgedeutet. Zum einen wird seit einigen Jahren unter Preisstabilität nicht mehr eine Inflationsrate von ca. 0% verstanden, sondern eine Rate von 2%, zum anderen wurde ohne Änderung der Verträge oder der EZB-Satzung die Zielsetzung der EZB um Wachstum und Beschäftigung ausgeweitet.
ad (3) Hinsichtlich der sogenannten "Maastricht-Kriterien" wurde bei Abfassung der EU-Verträge versäumt, im Falle des Verstoßes gegen diese Kriterien einen automatischen Sanktionsmechanismus zu installieren. Statt dessen wurde mit Art. 126 AEUV ein kompliziertes und zeitraubendes Verfahren eingeführt, in dem von den EU-Institutionen Berichte erstellt, Empfehlungen abgegeben werden sollen und schließlich durch eine "Kann"-Bestimmung auch Sanktionen angedroht werden. In der Praxis nahm die EU-Kommission eine Vielzahl von Verstößen gegen die Verschuldungsgrenzen hin, ohne den Sanktionsmechanismus einzuleiten. Nach Beginn der Corona-Pandemie wurden die Verschuldungsgrenzen im Frühjahr 2020 ausgesetzt und bislang nicht mehr reaktiviert. Ob sie jeweils wieder in Kraft gesetzt werden, ist ungewiß.
Somit wurden die rechtlichen Sicherungen der Stabilität der Eurozone, die für einige Mitgliedstaaten die Voraussetzung für ihren Beitritt gewesen waren, ohne Vertragsänderung beseitigt.
In der Abbildung wird die Anzahl der Überschreitungen der 3%-Grenze getrennt nach Mitgliedstaaten dargestellt:
Quelle: Hans-Werner Sinn, Die wundersame Geldvermehrung, Freiburg 2021, S.148
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