2. Die Motivation der EZB
In der veröffentlichten Meinung wird die aktuelle Inflation, die sich gemäß dem Statistischen Bundesamt im Juni 2022 auf 7,6% gegenüber dem Vorjahr beläuft, auf den Ukraine-Krieg bzw. steigende Energierohstoffpreise zurückgeführt.
Unter Ökonomen hingegen wird die seit über 10 Jahren verfolgte Niedrigzinspolitik diverser Notenbanken dafür verantwortlich gemacht. Aus diesem Grund erhöhten die britische und die US-Notenbank bereits den Leitzins, während die EZB es bislang bei Ankündigungen beließ.
Die Niedrigzinspolitik der EZB war allerdings auch in der Vergangenheit keineswegs unumstritten. Namhafte Wissenschaftler warnten vor inflationären Effekten, die sich aus der Kombination von Geldmengenvermehrung und Niedrigzinsen ergeben könn- ten, und in 2011 sowie in 2021 traten die Bundesbankpräsidenten Axel Weber und Jens Weidmann zurück, weil sie mit dem geld- politischen Kurs der EZB nicht einverstanden waren.
Wie die Abbildung zeigt, gibt es aber nicht nur Verlierer der bisherigen EZB-Politik.
In Zeile 5 wird die Situation Griechenlands dargestellt, das in 2019 eine Schuldenquote von 180% vom BIP auswies. Die Niedrigzinspolitik bedeutete für Griechenland eine erhebliche Entlastung des Staatshaushaltes. Bereits die Anhebung der Zinsen für die Staatskredite um 1 Prozentpunkt würden Zusatzausgaben für den griechischen Staat in Höhe von 3,8% des Haushalts bedeuten, die entweder durch Einsparungen bei anderen Ausgaben oder durch Einnahmeerhöhungen finanziert werden müßten.
In einer ähnlichen Lage befanden sich Italien, Portugal, Irland und Spanien.
Überdies besteht in einem funktionierenden Kapitalmarkt folgende systemimmanente Verschuldungsbremse: Kreditgeber verlangen von den Kreditnehmern je nach Verschuldungsgrad unterschiedlich hohe Risikoprämien, die sie in ihre Zinsforderung einfließen lassen. Je höher der Verschuldungsgrad eines Staates ist, umso teurer wird die Kreditaufnahme am Kapitalmarkt. Solange dieser Mechanismus intakt ist, wird eine übermäßige Verschuldung unattraktiv. Mit ihrer Politik der Vermeidung von Zinsdifferenzen zwischen den Staatsanleihen der Eurozonen-Mitgliedstaaten zerstörte die EZB jedoch diesen automatischen Stabilisator.
In seinem jüngsten Buch zitiert Hans-Werner Sinn das Memorandum früherer EZB-Direktoren, aus dem hervorgeht, daß der Schutz der hochverschuldeten Mitgliedstaaten der Eurozone ein wichtiges Motiv für den bisherigen geldpolitischen Kurs der EZB war. (Hans-Werner Sinn, "Die wundersame Geldvermehrung", Freiburg 2021, S.271)
Damit handelte der EZB-Rat gegen das in den EU-Verträgen verankerte Mandat der EZB, welches die Sicherung der Stabilität der Währung als Hauptziel der EZB definiert.